Homöopathie Vorwort

Wie schon an anderer Stelle beschrieben, lernte ich die Wirkungsweise der Homöopathie am eigenen Leibe (bzw. am Leibe unseres Sohnes) vor knapp 40 Jahren kennen, und zwar als überzeugter Schulmediziner, der sich nie mit den „Kügelchen“ beschäftigt hatte, sie aber trotzdem belächelte. So wie es ein hausärztlicher Kollege es mir gegenüber einmal ausdrückte: „Homöopathie, das ist doch, wenn Sie in Tschechien in die Elbe pinkeln und dann in Damnatz eine Probe nehmen und meinen, das Wasser schmecke nach Urin!“ So wie mir erging es fast allen homöopathisch arbeitenden Kollegen: Ausbildung in der „Allopathie“ und dann ein Erlebnis, das man nicht einfach ignorieren kann. Wenn man sich ernsthaft auf diese Methode einlässt und nur einmal eine „Wunderheilung“ erlebt, kommt man nie wieder davon los. Allerdings, es ist ein wirklich mühsames Geschäft und ich habe sehr viele „Reinfälle“ erlebt, auch heute nach 40 Jahren noch. Es war sogar so, dass ich in den ersten Jahren gefühlt mehr Volltreffer landete als heute. Vor allem sind Kinder dankbare Patienten. Im Nachhinein glaube ich allerdings, dass nicht selten sie eher dadurch gesund geworden sind, dass ich mit der Gabe von Belladonna etc. nur genügend Zeit überbrückt habe, damit sie mithilfe ihrer Selbstheilungskräfte von allein wieder gesund geworden sind.

In den 90er Jahren waren die Eltern in der Regel allerdings nicht ökonomisch so unter Druck wie heute. Meist war ein Elternteil längere Zeit nicht im Beruf oder es gab eine Oma, die die kleinen Kranken betreuen konnte. Heute ist es kaum möglich, dass Kinder ihre Krankheiten in Ruhe auskurieren können.

Zur damaligen Zeit gab es eine anthroposophisch arbeitende Kinderärztin in Lüneburg. Bei Scharlach z.B. verordnete sie den Kindern mindestens 1 Woche Bettruhe (!) ohne Fernsehen und Radio und anschließend noch mindestens 10 Tage Schulbefreiung, was allerdings medizinisch auch notwendig war wegen der relativ langen Infektiosität ohne antibiotische Behandlung. Heute ein Ding der Unmöglichkeit: Abstrich, bei Erregernachweis Penicillin und dann nach 3 Tagen ab in die Kita oder Schule.

Solche Kinder landeten dann irgendwann bei mir. Nach mehrfacher Antibiotikabehandlung wegen Mittelohrentzündungen bzw. Angina waren einige dann so geschwächt und infektanfällig, dass die Eltern die Nase voll hatten. Die Kinder freuten sich, weil Kügelchen nun mal süß sind und Antibiotika- und Fiebersäfte eben nicht. Meistens mussten wir dann einen Winter ohne Antibiotika überstehen und dann funktionierten die Selbstheilungskräfte wieder.

In der Regel waren die Patienten dann am ehesten von der Wirkung der Homöopathie überzeugt, wenn sie selbst einmal diese Kraft der Heilung erlebt haben. Fast alle ließen sich auch dann weiter homöopathisch behandeln, wenn es anschließend bei der nächsten Krankheit mal nicht so gut funktionierte.

Ich habe Patienten, die seit mehr als 30 Jahren immer wieder in meine Behandlung kommen, auch bei schweren Krankheiten, um sich homöopathisch behandeln zu lassen.

Wie funktioniert also Homöopathie?

Das wichtigste Prinzip, das vor Hahnemann (zu ihm schreibe ich noch einen Extra-Beitrag) auch schon andere, z.B. Paracelsus beschrieben haben, ist die Ähnlichkeitsregel: Similia similibus curentur = Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden.

Hahnemann war der erste, der systematische Arzneistudien (er nannte es Arzneiprüfungen) durchgeführt hat, zu einer Zeit, als außer ihm noch niemand im Traum daran gedacht hat. Er gab einer ganzen Gruppe von Gesunden über einen längeren Zeitraum täglich eine Gabe eines bestimmten Arzneimittels in hoher Potenzierung und ließ alle Symptome und Beschwerden aufschreiben. So sammelte er z.B. vom Arzneimittel Sulfur mehr als 1.500 Symptome. Tauchte dann ein bestimmtes Symptom bei mindestens 3 Probanden neu in der Prüfung auf, so ging er davon aus, dass dieses Symptom die Wirkung des geprüften Arzneimittels sein musste. Wenn beispielsweise bei der Sulfur-Prüfung mehrere Personen einen Juckreiz in der Bettwärme beschrieben, dann war das für ihn ein Sulfur-Symptom. Wenn nun ein Kranker mit einem Hautausschlag oder einer anderen Krankheit eine Verschlimmerung des Juckreizes in der Bettwärme hatte, so konnte Sulfur ein mögliches Arzneimittel sein, um diesen Hautausschlag bzw. diese Krankheit zu heilen. Im Laufe seines Lebens prüfte Hahnemann auf diese Weise mehr als 100 Arzneimittel. Jedes Symptom schrieb er auf. Hierbei handelte es sich nicht nur um körperliche, sondern auch um Gemütssymptome wie Traurigkeit, Ängste etc.

In der Anamnese eines Krankheitsfalles werden dann alle Symptome, auch die, die nicht zur eigentlichen Krankheit dazugehören, gesammelt und gewertet. Dazu gehören auch merkwürdige Dinge wie z.B. wenn eine Krankheit immer nur auf einer Körperseite auftritt oder wenn jemand einen immer wiederkehrenden Traum hat oder eine heftige Abneigung gegen bestimmte Nahrungsmittel usw.

Glücklicherweise haben Zehntausende von homöopathischen Ärzten in über 200 Jahren weltweit fleißig ihre Beobachtungen notiert, sodass heute mithilfe der Digitalisierung dieses einmalige „Schwarmwissen“ leicht abrufbar ist. Mann muss nicht mehr stundenlang Literatur wälzen, wenn man z.B. die wichtigsten Arzneimittel für klopfende Kopfschmerzen suchen will. Ein Mausklick und schon hat man sie.

Dennoch ist es sehr mühsam und zeitaufwendig, ein Heilmittel zu finden und ich kenne keinen homöopathischen Arzt, der Hahnemanns Forderung nach Heilungsgewissheit („gib ein Mittel nur, wenn du dir sicher bist, dass es hilft!“) heute auch nur ansatzweise erfüllt. Dies gilt ganz besonders für chronische Erkrankungen und besonders dann, wenn sie schon sehr lange mit starken Medikamenten behandelt wurden.

Das 2. homöopathische Prinzip ist das der Potenzierung. Hierbei handelt es sich eben nicht um ein einfaches Verdünnen, sondern um besondere, von Hahnemann genau beschriebene Verreibungs- und Verschüttelungstechniken. Und das Verrückte ist: je höher die Potenz, umso stärker die Wirkung. Verständlicherweise scheiden sich besonders ab jetzt die Geister: Es stimmt, es ist in einer Gabe von Sulfur C 200 kein Krümelchen Sulfur mehr drin. Wie soll das dann wirken?

Keine Ahnung, ich weiß es nicht und es interessiert mich auch nicht. Darüber gibt es reichlich Theorien, z.B. aus der Quantenphysik. Wie auch immer, ich habe die Wirkung hoher Potenzen hundertfach in der Praxis erlebt. Anfangs habe ich noch geglaubt, ich könnte bestimmte Kollegen überzeugen. Wenn ich ihnen dann von solch einer Heilung berichtete, erntete ich nur Verständnislosigkeit, mit einem Schuss Mitleid. Irgendwann habe ich mein Missionieren eingestellt.

Auch trauen sich viele Patienten nicht, ihrem Hausarzt zu erzählen, dass sie bei einem Homöopathen bzw. Heilpraktiker in Behandlung sind. Aber viele tun es dennoch. Und es gibt viele schulmedizinische Ärzte, die homöopathische Mittel verschreiben, aus reinem Opportunismus, weil die Patienten das wünschen.

Zum Schluss ein kleines Beispiel aus der Praxis:

Eine Mutter rief mich an, ihre Tochter (12 Jahre) habe hohes Fieber und heftige Kopfschmerzen. Ich vermutete einen Infekt und dachte an Mittel wie Aconitum oder Belladonna. Dann erzählte sie, das Mädchen sei am Vortag beim Schlittschuhlaufen auf den Kopf gestürzt. Ich dachte immer noch an Belladonna, denn Belladonna wird z.B. auch bei Folgen von Kaltwerden gegeben. Aber dann erzählte sie mir etwas Merkwürdiges: Ihre Tochter habe sehr schlecht geschlafen und einen Alptraum gehabt. Auch für Alpträume passt Belladonna. Ich fragte nach, was der Trauminhalt gewesen sei. Da sagte sie, sie habe geträumt, sie sei lebendig begraben. Nun kribbelte es bei mir. Ich schlug in der Symptomensammlung nach: Träume, Trauminhalte, lebendig begraben zu sein. Hier fand ich 3 Arzneimittel. Eines davon war Arnica. Eine sehr hohe Potenz von Arnica und nach kurzer Zeit waren Kopfschmerz und Fieber verschwunden.

Klar, kann Zufall sein oder Placebo. Ist es aber nicht.

Übrigens habe ich so nebenbei auch manches Haustier mit Kügelchen behandelt. Keine Ahnung, ob es in der Fauna auch Placebo gibt.

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