Pharmavertreter

In den 90er Jahren hatten wir eine Gemeinschaftspraxis zu dritt (2 Kolleginnen und ich). Wir hatten nicht nur Patienten, sondern auch Pharmavertreter. Das war damals übliche Praxis und ich bin mir nicht sicher, ob es heute noch genauso zugeht in den Kassenpraxen wie damals. Ich bin ja inzwischen 10 Jahre raus aus der Kassenarztmühle. Jedenfalls kamen diese Vertreter in der Regel unangemeldet, meistens zur Unzeit, wenn das Wartezimmer voll war. Sie machten den Arzthelferinnen (die heißen heute „MFA“=medizinische Fachangestellte, werden allerdings nicht besser bezahlt) schöne Augen und kleine Geschenke und lauerten am Tresen, bis ihr Opfer (z.B. ich) das Sprechzimmer verließ. An meiner Miene konnten sie gleich erkennen, dass ich keinen Bock auf sie hatte. „Herr Doktor, nur ganz kurz: wir haben ein neues Medikament gegen ….“ Irgendwie schafften sie es meistens, mich in ein Gespräch zu verwickeln und manchmal sogar, mir eine Hochglanz-Grafik unter die Nase zu halten, die beweisen sollte, dass ihr neues, allerdings mindestens 3 mal so teures Medikament besser sei als das, was ich verschreibe. Meine Standardantwort war, dass ich mit meinen geringen Patientenzahlen doch nicht in der Lage sei, das wirklich auszuprobieren. Ich würde lieber ein oder 2 Jahre warten. Dann hätte sich das neue Medikament entweder am Markt durchgesetzt oder sei verschwunden. Wenn das noch nicht reichte, kam ich mit dem „Arzneitelegramm“ (einem pharmaunabhängigen Expertengremium, das wirklich in der Lage ist, Studien, die ich so wie die meisten meiner Kollegen nicht wirklich interpretieren kann, zu bewerten). Da steht dann meistens der gerichtsfeste Satz: „Variante ohne besonderen Stellenwert.“ Will heißen: nicht besser, aber teurer.

Irgendwann war mir das Theater mit den Pharmareferenten zu bunt und ich schlug meinen Kolleginnen vor, keine mehr zu empfangen. Eine kleine Revolution „Das können wir doch nicht machen, die sind doch eigentlich so nett und außerdem stehen sie so unter Druck. Wenigstens sollten sie unsere Unterschrift bekommen, als Beweis für ihre Firma, dass sie da waren!“

Tatsächlich ist es so, dass die Firma natürlich einen Überblick über die Apothekenumsätze hat und somit direkt die PR-Erfolge ihrer Vertreter beurteilen kann. Aber meine Argumentation , dass mit uns auch niemand Mitleid habe, wenn die Kunden im Wartezimmer immer ungeduldiger mit den Hufen scharrten, setzte sich allmählich durch. Wir einigten uns auf einen Kompromiss:

Bei mir war ganz Schluss, meine Kolleginnen entschieden je nach Fall und Person.

Es gab auch noch andere Beziehungen zwischen Pharma und Arzt: die sogenannten „Praxisstudien“. Ein einziges Mal hat meine Kollegin mitgemacht, was sie später bereut hat: Für ein Diktiergerät hat sie eine Studie mit einem neuen Medikament mit 5 Patienten gemacht. Die wussten zwar, dass das Medikament neu war, aber nicht, dass sie an einer „Studie“ teilnahmen. Dieser Blödsinn hat natürlich nichts mit Wissenschaft zu tun, war aber gängige Praxis und nützlich für die Pharmaindustrie.

Weitere Aspekte der Werbung sind die „Ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen“ inkl. anschließendem Buffet. Nicht nur die Vortragenden, auch die Schlemmerei übernimmt die Industrie. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass bei einigen Kollegen der Wissenshunger nicht so ausgeprägt war wie der natürliche. Meistens fand ich diese Events nur peinlich.

Ein anderes Thema ist die direkte Medikamentenwerbung in den ärztlichen Fachzeitschriften. Es gibt keine mehr ohne Werbung, auch die offiziellen nicht. Diese Werbung ist in der Regel so platt und dumm, dass ich mich jedes Mal frage, ob die Pharmaindustrie uns Ärzte tatsächlich für so blöd hält darauf hereinzufallen. Offensichtlich ja, sonst gäbe es sie nicht.

Vielleicht schreibe ich darüber nochmal einen Extra - Artikel.

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