Gusborn (EJZ 2)

Will man die Menschen daran hindern, dass sie in Freiheit handeln, so muss man sie daran hindern, zu denken, zu wollen, herzustellen, weil offenbar all diese Tätigkeiten das Handeln und damit auch Freiheit in jedem, auch dem politischen Verstande implizieren.
Hannah Arendt

Diese Geschichte muss ich ausführlich erzählen, weil sie die Atmosphäre und das Klima auf dem Höhepunkt der Corona-. Hysterie sehr gut widerspiegelt.

Im Spätsommer 2021 häuften sich in meiner Praxis Anrufe von wildfremden Menschen, die meine Hilfe suchten, weil sie entweder die Maske nicht tragen konnten oder sich nicht genspritzen lassen wollten. Ich habe dazu in den Artikeln mit den Titeln „Treibjagd“ einige Beispiele genannt.

Das war die Zeit, in der bei Kollegen wegen angeblich gefälschter Atteste plötzlich das SEK in der Praxis anrückte und die Patientenakten beschlagnahmt wurden. Ein Uelzener Kinderarzt wurde angeklagt und tatsächlich verurteilt. Ein Hamburger Kollege, Dr. Walter Weber, der ebenfalls eine Haussuchung über sich ergehen lassen musste, berichtete mir, dass bei der Hamburger Polizei schwarze Listen von impfkritischen Ärzten kursierten. Es gibt zahlreiche Berichte von drangsalierten Kolleg/innen. Eine Zeit, in der es besser war, den Mund zu halten und nicht aufzufallen.

Ich war also gewarnt, wollte aber trotzdem helfen, denn die Verzweiflung war bei jedem Telefonat deutlich. Nichts mehr mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.

Allerdings musste ich die Patienten auch gleich enttäuschen: je kränker man war, umso dringender die „Impfung“. 2 Thrombosen, eine Lungenembolie, 2 Schlaganfälle in der Vorgeschichte? Kein Grund, die Spritze zu verweigern. Absurde Situation.

Was mir noch klar wurde: Diese Menschen sind nicht nur verzweifelt, sondern fast immer auch isoliert - in der Familie, von Freunden, erst recht im Beruf.

Ich wusste aber, dass dem nicht so war, weil es sehr viele Menschen gab, die allerdings aus Angst stumm blieben. So kam mir der Gedanke, diese Menschen auf einer Versammlung zusammenzuführen, nach der Pink Floyd-Zeile: „together we stand, divided we fall“. Früher gab es auch ein deutsches Wort dafür, das inzwischen nur noch selten zu hören ist: Solidarität.

Also suchte ich einen Raum für diese Veranstaltung. Ich rechnete mit maximal 20- 30 Personen. Der Saal im Jamelner Gasthaus schien mir geeignet. Ich erhielt eine Zusage. Eine Woche später kam die Absage „aus gesundheitlichen Gründen“. Später hörte ich vom Gerücht im Dorf, ich würde mit den Ungeimpften die Seuche in die Gemeinde bringen. Dann der 2. Anlauf: Das Café Grenzbereiche in Platenlaase. Ebenfalls eine prompte Zusage. 3 Tage später eine Absage mit der peinlichen Begründung, dass die „allgemeine politische Lage“ es ihnen leider unmöglich machte. Soviel zu „kultureller Vielfalt und freier Meinungsäußerung“.

Inzwischen drängte die Zeit, denn der Termin war per Anzeige längst raus.

Dann rief mich ein Landwirt, Notgemeinschaftsmitglied und alter Kampfgefährte aus Castorzeiten an. Er hatte von meiner Notlage gehört und bot sein großes Wohnzimmer in Groß Gusborn als Veranstaltungsraum an. Wir gingen davon aus, dass der Platz reichen würde.

Allerdings: eine halbe Stunde vor Beginn standen schon über 30 Menschen vor dem Hoftor. Schnell wurden es mehr. Zu Beginn der Veranstaltung waren es über 150 Personen. Wir mussten schnell improvisieren und entschlossen uns zu einer Freilichtveranstaltung auf dem Hofgelände. Ein Wagen diente als Bühne, dahinter muhten die Kühe. Es wurde eine unglaublich mutmachende Versammlung mit guten Redebeiträgen, guter, sehr friedlicher Stimmung; ähnlich wie zu Castorzeiten. Es bildeten sich spontan mehrere Arbeitsgruppen; es wurde sich vernetzt, eine Internetseite aufgemacht.

Später erfuhr ich, dass draußen die „Wendlandechsen“, eine besonders eifrige, impffreudige Gruppe, die der Antifa nahesteht, die Autokennzeichen fotografiert hatte. Auch wie zu Castorzeiten. Allerdings waren es damals Zivis, meistens dilettantisch getarnt.

Zu Beginn der Veranstaltung tauchte Rouven Groß, seines Zeichens „EJZ“- Redakteur, ebenfalls eifriger Impfbefürworter, am Hoftor auf und ließ mich fragen, ob er auf den Hof dürfe. Ich hatte natürlich nichts dagegen.

Zum Ende der Veranstaltung kam er auf mich zu, bot mir jovial das „Du“ an (er könnte mein Sohn sein), aber: „Wir wohnen doch im gleichen Ort!“ Schleimte er oder war ich geschmeichelt?

Jedenfalls fragte er mich, ob ich nicht gewusst habe, dass ein bekannter Nazi auch anwesend gewesen sei. Es war dunkel, außerdem kannte ich ihn nicht und hatte andere Dinge im Kopf. Also antwortetet ich sinngemäß: „Nein, aber solange er nicht die Reichskriegsflagge schwenkt und Naziparolen brüllt, habe ich nichts dagegen! Vielleicht hat er ja heute auch was gelernt.“

Im Nachhinein gesehen, war das dumm und naiv. Jedenfalls brauchte Herr Groß länger als eine Woche (soviel zum Aktualitätsverständnis unserer Regionalzeitung), um daraus einen großen Artikel zu basteln mit der Aussage: Impfgegner Waltke distanziert sich nicht von Nazi. Dazu noch eine Karikatur von Grossman, auf der man 2 fröhliche Nazis in Springerstiefeln einen Bauernhof betreten sieht. Ein Schild mit der Aufschrift: „Heute hier: Ungeimpfte und sonstige Querulanten.“ Aus dem Stall kommt die Sprechblase: Wir schließen niemand aus!

Nun hatten sie mich. Es folgte ein regionaler Shitstorm: Waltke, der Schwurbler, sucht die Nähe zu Nazis.

So wie es bei vielen anderen lief, lief es auch bei mir. Schublade auf. Sachliche Debatte? Kein Bedarf. Ich lernte wieder ein neues Wort: Framing.

Auch meine jahrzehntelangen politischen Weggefährten, mit denen ich noch gemeinsam zur Kommunalwahl angetreten war, hatten plötzlich Distanzierungsbedarf in beide Richtungen. Ich sollte mich eindeutig öffentlich von Nazis distanzieren. Ich verstand die Welt nicht mehr. Wo sind wir denn, dass ich so was nötig habe?

Also distanzierten sie sich von mir. Ein letzter Versuch von mir, eine sachliche Auseinandersetzung in einer Mitgliederversammlung zu führen, scheiterte kläglich (NB: Ich war der einzige Arzt in der Runde, aber inzwischen gab es ja jede Menge Laien-Experten, die schlauer waren als ich).

Auch Andere, die ich noch als Freunde gesehen hatte, gingen schnell auf Distanz. Mir kam der Satz in den Sinn (Verfasser mir nicht bekannt):
Gott schütze mich vor meinen Freunden. Um meine Feinde kann ich mich selber kümmern.

Das Ganze hatte noch einen anderen negativen Effekt: Der Sohn des Bauern, der mit der ganzen Geschichte nichts zu tun hatte, sah sich ebenfalls zur öffentlichen Distanzierung gezwungen. Er hatte große Befürchtungen, dass seine Molkerei die Bio-Milch nicht mehr abnimmt.

Im Dorf wohnt eine Kollegin, mit der ich über viele Jahre in eine Homöopathie-Arbeitsgruppe zusammengearbeitet habe. Dort haben wir oft über Impfnebenwirkungen gesprochen. Sie fand mein Engagement unerhört. Später engagierte sie sich als Impf-Ärztin im Impfzentrum.

Ich verstand die Welt nicht mehr. Aber das Ganze hatte auch einen klärenden Effekt. Vermeintliche Freunde gingen, neue kamen und blieben. Vor allem meine Patienten haben mir sehr viel Energie und Kraft gegeben. Im Nachhinein.: Ich bereue nichts!

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